top of page

Digital-Detox

Kurzgeschichte

Dieser Vogel. Voller Sehnsucht singt er da draußen in den Eingeweiden des Nationalparks, als beantworte er sich die großen Fragen des Lebens. Vielleicht John Coltrane, der als australischer Vogel wiedergeboren wurde und nach seinen Freunden ruft, die ihn nicht hören können, weil sie Würmer oder Bären sind, irgendwo in Kanada. Wenn die Sonne aufgeht, wird er verstummen. Ich höre ihn vielleicht das letzte Mal.

»Wenn du dich rächen willst«, sagte Marie, »nur zu.« Sie saß im Schatten des Sonnensegels, das wir vom Dach des Land Cruisers zum Boden hin gespannt hatten. War das gestern? Sie roch an dem Becher, den sie in ihren Händen hielt, als habe Wasser einen besonders angenehmen Duft. Ich fragte, wie viel noch da sei. Kein halber Liter mehr, sagte sie und reichte mir den Becher. Es war ein Kleeblatt darauf, eines mit lachendem Gesicht und vier Blättern.

 

Gegenüber, im anderen Zelt, hinter der Maske des Moskitonetzes, lag Jon. Der grüne Schlafsack hatte sich um seine Beine gewickelt wie eine Anakonda. Meine Füße waren übersät mit Blasen. Sie schmerzten und pochten, einige hatten sich über Nacht entzündet. Gute vier Stunden war ich in meinen Espadrilles durchs Outback gelaufen. Jon war in die andere Richtung gegangen, und hatte offenbar ebenso wenig Glück gehabt wie ich. Keine Hilfe, kein Wasser. Er lag ganz ruhig da.

Wann er zurückgekommen sei, wollte ich wissen. Marie zuckte bloß die Schultern. Sie habe nichts mitbekommen, sie schlafe zwar nicht mehr viel, aber wenn, sei es unfassbar tief. Als zerre der Tod bereits an ihr. Sie umschloss ihren Pferdeschwanz mit einer Faust und zog ihn schräg nach unten weg.


Es sei nicht seine Schuld, sagte ich. Aber warum? Es war seine Schuld. Marie wollte das Handy mitnehmen, aber Jon musste es unbedingt im Camp verstecken, genauso wie meins. Was solle schon passieren, Digital Detox sei wichtig, wir hätten doch den Cruiser. Und was nützt er uns jetzt?

Kommt, fahren wir durch das ausgetrocknete Flussbett da hinten, rief er – und machte es einfach. Tatsächlich war es die beste Fahrt bisher, das musste man ihm lassen, das reinste Rodeo. Aber dann setzten wir auf einem Felsen auf und kamen nicht mehr weiter. Kühlflüssigkeit lief in Rinnsalen das graue Gestein hinab. Es sah eigentlich sehr schön aus. Marie sieht schön aus.

Have a nice day, stand auf dem Becher mit dem Kleeblatt. Fick dich, flüsterte ich und rief nach Jon, er solle endlich aufstehen, die Sonne ginge bald auf. Marie warf ihren Schuh gegen das Moskitonetz. Er sei ein blöder Arsch und solle nicht auf die Idee kommen, uns alleine in der Sonne verrecken zu lassen. Aber da war er ja schon tot. 

Schau, rief Marie, dort hinten! Mit grünen Federn und goldener Brust sitze er in dem vertrockneten Baum, Bird Coltrane, wie sie und ich ihn getauft haben. Gleich dort, sagte sie und hob ihren Finger. Ich konnte nicht einmal den Baum sehen.

bottom of page